Das Außen
Wieso sollte ich mir über Entschleunigung und Langsamkeit Gedanken machen? Wer mich kennt, der weiß, dass ich mich eher im Tempo einer Schildkröte als einer aufgeschreckten Gazelle durch die Welt bewege. Jede weitere Entschleunigung ließe, in der Wahrnehmung von außen, einen Stillstand, ein Einfrieren befürchten. Oder eine Katalepsie.
Das Innen
Mein Innen, meine innere Welt aber sieht ganz anders aus. Mein innerer Zustand erklärt auch, weshalb mein Außen zwangsläufig nicht nur langsam erscheint, sondern auch wirklich langsam ist; langsam sein muss. Denn mein Innen lässt einfach gar keine Energie für das Außen mehr übrig.
Mein Inneres erscheint mir wie eine Hölle, wie eine Höhle. Die Höhle ist durch den Schein eines lodernden Holzfeuers hellrot erleuchtet. Über den hell lodernden Holzscheiten hängt an einem verrußten Stahlgestell ein ebenfalls dick verrußter oben offener großer Blechkessel. In dem Kessel brodelt mit dicken aufsteigenden Blasen eine glühendrote, leuchtende, zähflüssige Suppe.
Wenn die dicken, fetten Blasen aufsteigen und in sich zusammenfallen, entstehen Spritzer, die dann manchmal heiß über den Rand des Kessels hinausgeschleudert werden, die dann ins Feuer oder die umherliegende Asche fallen, um zu Schlacke zu erkalten.
Früh morgens, lange bevor ich aufstehe wird das Feuer neu angefacht, Holz aufgelegt und der Kessel wird zum Kochen gebracht. Noch bevor ich aufstehe, sind alle diese Werke erledigt. Wenn ich dann träge aufstehe, begrüßt mich das ganze Szenario gut erholt und wohl genährt in all seiner Pracht und Herrlichkeit.
Diese glühende Brühe im Kessel, diese brodelnde Suppe über dem lodernden Feuer, das ist mein Inneres. Das sind meine Gedanken! Letztlich: Das bin ich. Das ist mein Inneres: Wie eine Stahlschmelzerei. Oder eine Bronzeschmelzerei. Jedenfalls sehr heiß.
Wohlergehen? Abenteuer?
Ob das nicht ein sehr spannendes, sehr aktives Leben sei, willst du von mir wissen? – Ja, mein inneres Leben ist spannend. Ja, mein inneres Leben ist aktiv. Oft ist es viel zu spannend, unerträglich spannend, unerträglich aktiv. Oft ist es so spannend und so aktiv, dass ich mich bemühen muss, im Außen keine Fehler, die ich später einmal bereuen könnte, zu begehen. Dann muss ich mich ganz darauf konzentrieren, mein Inneres in Schach zu halten, nicht die Herrschaft zu verlieren, unauffällig zu bleiben. Dann heißt die einzig wirkliche Hilfe: Worte und Gedanken ordnen und sortieren.
In mir kocht es fast immer. Eindrücke, Wortfetzen, Ideen und Bilder jagen einander und wollen zu Gedanken verarbeitet werden. Und wenn sie dann Gedanken sind, wollen sie zu einer Geschichte werden. Zu einer Ordnung, die einen Sinn beherbergt und einen Sinn anbietet. Eine Ordnung, die beruhigt. Ein Sinn, der mich beruhigen kann. Eine Geschichte, die mich beruhigt und trägt.
Entschleunigung der Gedanken
In mir kocht es! Wenn es brodelt, lässt sich gar nicht so leicht eine ruhige beruhigende Geschichte erzählen. Wie sollte es also, von Drogen und Medikamenten einmal abgesehen, möglich sein, eine Entschleunigung, ein wenig Ruhe in diesen brodelnden Kessel meiner Gedanken zu bringen? Manche sagen, man solle spazierengehen. Andere raten zu Yoga oder zu einer Meditation. Aber Yoga und Meditation sind zur Zeit keine geeigneten Wege, Ruhe in mein brodelndes Inneres zu bringen. Yoga war es früher einmal. Meditation war es noch nie; vielleicht weil ich es nie richtig gelernt habe, das Meditieren. Jedenfalls helfen mir weder Yoga noch Meditation im Moment wirklich weiter.
Entschleunigung im Schreiben
Das Einzige, was mir wirklich helfen kann, eine Entschleunigung in mein Inneres, meine kochenden, brodelnden Gedanken zu bringen, ist das Schreiben. Nicht das große, elegante, künstlerische Schreiben. Sondern das einfache, unkünstlerische, primitive, archaische Schreiben mit wertlosem Schreibgerät auf wertlosem Konzeptpapier. Überhaupt: Konzept! Nichts fürs Reine! Oder gleich in den Rechner. So, wie auch dieser Artikel gerade zustande kommt.
Schreiben ist langsam. Selbst wenn jemand sehr, sehr schnell schreiben kann: Schreiben ist langsam. Schreiben ist viel langsamer, als es die Gedanken sind. Weil ja aber die Gedanken niedergeschrieben werden, langsam niedergeschrieben werden, müssen sie sich nun, Wort für Wort gedulden, bis sie weitereilen können. Das bringt eine Verlangsamung des ganzen Denkens mit sich. Eine angenehme Erlösung. Zeit zum Aufatmen!
Einatmen und Ausatmen! Und Weiterschreiben! Und dann, wenn du genug geschrieben hast, kannst Du lesen, was Du gerade geschrieben hast. Du kannst Deine Gedanken, die vorher nur wild in der Schmelze brodelten, entspannt betrachten und prüfen. Und vielleicht – es würde mich nicht wundern – findest du Deine Gedanken, die nun Dir gegenüber, außerhalb Deiner selbst auf dem Papier stehen, sehr interessant. Vielleicht staunst Du auch über Dich selbst und über all das, was Du zu wissen scheinst!
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